Macht das noch Sinn ?

Macht das noch Sinn?

Meine Beobachtung in den letzten Monaten in vielen Begegnungen ist, dass immer mehr Menschen sich die Frage stellen, ob das, was sie da tun,  noch irgendeinen Sinn macht. Mit der Zunahme der kollektiven Unsicherheit, bei gleichzeitiger Beschleunigung aller Aktivitäten, kommen immer mehr Menschen an ihre Grenzen und beginnen sich essentielle Fragen zu stellen. Was will ich wirklich, was ist meine Aufgabe, was macht für mich noch einen Sinn, jenseits des Funktionierens?  Folge dieser existentiellen Fragen, auf die viele keine befriedigende Antwort finden ist eine epidemische Zunahme von psychosomatischen Erkrankungen, Unfällen, Depressionen und Burnout. Mir scheint, dass wir eine veritable, historische Sinnkrise haben, die jeder von uns individuell  erlebt und durchläuft, in Wirklichkeit aber kollektive Ausmaße hat.

Wenn selbst Angela Merkel eine Webseite aufschalten lässt, (http://www.dialog-über-deutschland.de) in der die Frage gestellt wird, wie soll denn die Gesellschaft der Zukunft aussehen, dann wird scheinbar auch bei den deutschen Konservativen (CDU) die Sinnhaftigkeit der postindustriellen, auf Konsum ausgerichteten Gesellschaft, bereits in Frage gestellt.  Die auf reine Effizienz ausgerichtete, durchnormierte Leistungsgesellschaft hat scheinbar ihren Sinn verloren und wir, ihre Repräsentanten, suchen intensiv danach, was überhaupt noch Sinn macht. Ein sinnloses Leben führt in jedem Fall in eine Depression oder in einen Burnout. Natürlich hat all unser Streben nach mehr Geld oder Macht oder beidem, sein Momentum. Das Schwungrad des permanenten Konsums von Dingen, die man eigentlich nicht braucht und mit Geld kauft, das einem nicht gehört (auf Pump), um Menschen zu imponieren, die man nicht mag, läuft weiter, wie jede verinnerlichte Gewohnheit. Die latenten Widersprüche zu einem authentischen Leben jedoch werden für immer mehr Menschen spürbar.

Aaron Antonovsky, Soziologe und Mediziner, untersuchte im letzten Jahrhundert ausführlich, wie Menschen unter den schwierigsten Bedingungen gesund bleiben und prägte den Begriff der Salutogenese. Wenn wir seine Forschungsergebnisse auf unsere Kultur anwenden, dann wird deutlich, warum unsere Resilienz (Widerstandfähigkeit) immer schlechter wird: Der Sinn für Kohärenz ist uns abhanden gekommen und der setzt sich zusammen aus: 1. Sinnhaftigkeit – 2. Verstehbarkeit und 3. Selbstwirksamkeit (Antonovsky nannte es damals noch Beeinflussbarkeit):

  1. Sinnhaftigkeit: Vieles in unserer Gesellschaft macht keinen Sinn mehr, insbesondere weil diese Gesellschaft unsere fundamentalen Bedürfnisse nach authentischer Beziehung, die Entwicklung bzw. Ausdrucksmöglichkeit persönlicher Talente und Begabungen nicht ausreichend fördert.
  2. Verstehbarkeit: Die auf Krisen, Katastrophen und oberflächliche Unterhaltung ausgerichtete Informationsüberflutung durch die Medien führt nicht zu einer besseren Verstehbarkeit der Zusammenhänge, da Ereignisse nur noch plakativ und in ihrer Oberflächenstruktur dargestellt werden.
  3. Selbst-Wirksamkeit : Undurchsichtige Machtstrukturen, in denen Politik, global operierende Konzerne und Medienmogule, Informations-, Geldströme, Finanzstrukturen und vieles mehr beherrschen, schaffen ein schier undurchdringbares Netz und lassen im Einzelnen ein tiefes Gefühl der Ohnmacht entstehen.

Im Entwurf einer Sinn-Gesellschaft, die Menschen resilient macht, sollten daher drei Aspekte im Vordergrund stehen:

  1. Was macht Sinn für mich persönlich ? Was ist meine Aufgabe entsprechend meinen Talenten und Begabungen, und wie kann ich diese zum Ausdruck bringen? Im Unternehmen geht es beispielsweise darum, die spezifischen Leidenschaften und Fähigkeiten eines Mitarbeiters zu erkennen und ihm die Möglichkeit geben, einen Großteil dieser Fähigkeiten auch in seine Tätigkeit einbringen zu können. Nur so können außergewöhnliche Leistungen, Eigeninitiative und Dynamik enstehen. Das Bildungssystem muss darauf ausgerichtet werden, nicht mehr Menschen dafür zu belohnen, dass sie vorgekautes Wissen auswendig lernen oder möglichst präzise wiedergeben, sondern ihre natürlichen Talente und Begabungen sollten zu Tage gefördert werden.
  2. Verstehbarkeit muss sich primär auf Beziehung und Kommunikation beziehen und ebenso in Schulen und Universitäten zum Unterrichtsfach werden, als auch in Unternehmensschulungen einen zentralen Stellenwert einnehmen. Wie stelle ich vertrauensvollen Beziehungen her, die von gegenseitiger Wertschätzung geprägt sind und lerne Konflikte konstruktiv zu lösen? Ohne Beziehungen und Freundschaft (Bindung) werden wir gleichgültig zu einander und sobald wir gleichgültig werden, entsteht ein Nährboden für die grausamsten Verhaltensweisen, die wir uns gegenseitig antun können.  Außerdem wird durch Bindung und Beziehung die Welt zu einem Ort der verstehbar ist. Nur in einer lebendigen und aufrichtigen Interaktion können wir die tieferen Zusammenhänge wie z.B. die Geschichte eines Menschen und sein Verhalten verstehen. Weit über 90% aller Konflikte entstehen aus Missverständnissen heraus. Eine der wichtigsten Herausforderungen als Menschen ist es, gute Beziehungen herzustellen, wenn möglich zu allen Menschen.
  3. Selbstwirksamkeit, der dritte Faktor den Antonovsky herauskristallisiert hat, bezieht sich auf das tiefe Bedürfnis des Menschen auf sich und die Welt einwirken zu können. Dazu gehört  zunächst die Fähigkeit seine Gedanken, Gefühle und Impulse verstehen und steuern zu können. Nur wenn man nicht mehr seinen inneren Impulsen ausgeliefert ist, erwirbt man die notwendigen Eigenschaften wie, emotionale Selbstkontrolle, mentale Fexibilität und ein gewissen Mass an Selbstdisziplin, die für wirksames und erfolgreiches Handeln in der Gesellschaft  von entscheidender Bedeutung sind.

Schreibe einen Kommentar