Der westliche Weg ins Sein

Parmenides“ war einer der bedeutendsten, griechischen Philosophen des Altertums. Er lebte 500 v.Chr. in Elea, im heutigen Süditalien. Platon nannte ihn respektvoll „unseren Vater“. Als „Erfinder“ der westlichen Logik und damit Gründer unserer Zivilisation nimmt er einen besonderen Platz in der Geschichte unserer Kultur ein. Noch bemerkenswerter allerdings ist, auf welche Weise er zu seinen Erkenntnissen über die Logik kam. Auf seinen inneren Reisen begegnete er einer höheren Intelligenz, die er als Göttin beschreibt und ihm nicht nur die Gesetze der Logik offenbart, sondern ihn auch darüber unterrichtet, was Realität ist, nämlich das ewig und unveränderbare „Sein“ und was fiktiv, d.h. nur „Schein-wirklichkeit“ ist. Auch wenn diese Texte 2500 Jahre alt sind, enthalten sie Aussagen, die praktisch identisch sind mit Erkenntissen der relativen Wirklichkeit der Quantenphysik. Die zentrale Rolle des Bewusstseins bei der Wahrnehmung der Wirklichkeit steht bei beiden im Vordergrund.

In Berührung mit Parmenides kam ich durch meinen Freund Peter Kingsley. Peter ist Autor zahlreicher Bücher, Gastprofessor an verschiedenen Universitäten und lehrt griechische Philosophie. Er entdeckte, dass Parmenides und Empedokles, nebst Philosophen, auch Mystiker und Heiler waren. Als Priester des Apollo waren sie nicht nur für das Seelenheil der Menschen verantwortlich, sondern auch für so praktische Aufgaben wie das Errichten von Stadtmauern, das Trockenlegen von Sümpfen oder die strategische Verteidigung ihrer Stadt Velia bzw. Agrigento gegen Überfälle durch Piraten. 

Als ich Peter 2007 erstmalig kontaktierte, um ihm meine Wert-schätzung dafür auszusprechen, dass er den mystischen Ursprung unser westlichen Kultur gefunden hatte, wusste ich noch nicht, wie stark er meine Arbeit beeinflussen würde. Einer seiner zentralen Aussagen ist, dass wir anderen Kulturen nur dann wirklich begegnen können, wenn wir wissen, wo unsere eigenen Wurzeln sind. Der Westen wurde über die letzten Jahrzehnte stark von verschiedenen, vor allem östlichen Traditionen beeinflusst: Indische Yogis, Schamanen, Zenlehrer oder tibetische Buddhisten haben schon lange bei uns Fuß gefasst. Heute findet man in jeder europäischen Stadt Yoga- oder Chi Gong Kurse im Angebot, nebst einer Fülle von spiritueller Literatur aus allen Kulturen unseres Globus.
Mich interessierten vor allem die  ursprünglichen, mystischen Techniken des Westens, aus denen unsere, auf Logik basierte Kultur hervorgegangen war. Schnell wurde mir klar, das das was man in den östlichen Traditionen als Meditation bezeichnet, bei Parmenides „Inkubation“ hiess.  Als Inkubation wurde damals  auch der Tempelschlaf bezeichnet, eine Praxis, bei der man einen Tempel aufsuchte, um dort Heilung oder Inspiration zu finden.  Der Begriff Inkubation wird heute vor allem benutzt, um auszudrücken, dass man etwas ausbrüten muss, bevor es sich vollständig entwickeln kann. Wenn wir davon ausgehen, dass wir es dieser Inkubationspraxis verdanken, dass wir mit den Gesetzen der Logik zur mächtigsten Kultur des Planeten wurden, so wundert es, dass diese Praxis heute fast vollständig verloren gegangen ist. Aber eben nur fast, hätte Peter Kingsley sie nicht wiederentdeckt.

Peter Kingsley weißt darauf hin, dass wir in einer bedeutsamen Übergangsphase leben, in der uns unsere Wurzeln wieder bewusst werden. Durch mein Studium verschiedener Meditationstechniken Asiens wurde mir klar, dass die Inkubations-techniken, wie sie mir von Peter vermittelt wurden, sehr viel Ähnlichkeit mit Methoden aus dem Zen-Buddhismus aufweisen.Die wichtigste Erkenntnis für mich aber war, dass sie –  den für uns im Westen – einfachsten und  zugänglichsten Weg zur Quelle unseresSeins darstellen. Über die letzten Jahre habe ich in vielen Seminaren die Erfahrung gemacht, dass die Teilnehmer über diese, uns eigenen, authentischen Inkubationstechniken einen sehr schnellen und wirksamen Zugang zu erweiterten Bewusstseinszuständen finden, die von innerer Stille, Klarheit und Gelassenheit geprägt sind. 

 
Auch wenn ich eine hohe Wertschätzung für die ideologiefreien Methoden des Zen-Buddhismus und der Shaolin-Tradition habe, Yoga ebenso hilfreich finde, wie QiGong oder TaiJi, ziehe ich doch das Eintauchen in die Stille und Sinnlichkeit der Inkubation vor. Es erfolgt ohne jede Anstrengung. Der Körper und die gleichzeitige Wahrnehmung der Sinne spielen dabei eine zentrale Rolle. Aus meiner Sicht ist die Wiederentdeckung dieser westlichen, authentischen Technik, gerade jetzt der Weg zur Bewusstseinsveränderung. Beiden, Parmenides und Empedokles, wird zugeschrieben, dass sie die Inkubation nicht nur zur Reise in die tieferen Dimension des Seins nutzten, sondern dass sie aus dieser Praxis heraus, tiefe Erkenntnisse, Heilung und konkrete Lösungen für die Bewältigung alltäglicher Fragen generieren konnten. In der heutigen Zeit erweist sich Inkubation als enorm hilfreich, um dem wachsenden Stresslevel und der Komplexität mit größerer Gelassenheit und innerer Klarheit zu begegnen. 

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